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  • AutorenbildJens Fischer Rodrian

Empathie in Zeiten der Pandemie

Aktualisiert: 7. Juni 2020

Die Welt ist im Ausnahmezustand - und das schon seit langem.

Wir in Westeuropa und Nordamerika sind es jetzt. Menschen aus Krisengebieten, egal ob sie durch Hunger, ökologische Unvernunft, geostrategische Stellvertreterkriege oder die Ausbeutung rohstoffhungriger Industrienationen verursacht wurden, sind es schon lange.

Trotzdem scheint die Bundesregierung und ein Großteil Medienlandschaft, bereit zu sein, sich fast monothematisch mit einem aggressiven Grippevirus zu beschäftigen und alle anderen dringenden Fragen hinten an zu stellen.

In Afrika, Südostasien und anderen Teilen der Welt kämpft die Bevölkerung seit Jahren mit Naturkatastrophen, die u.a. durch unseren rücksichtslosen Konsum und Energieverbrauch verursacht worden sind. Die Menschen dort leben seit Jahren im Ausnahmezustand.

Zur Zeit sind ungefähr 1.000.000 syrische Menschen auf der Flucht, um nur einen, immer noch sehr aktuellen, Stellvertreterkrieg zu nennen. Mindestens 2.000 traumatisierte, minderjährige, unbegleitete Kinder sitzen dem zu Folge auf griechischen Inseln fest, die Deutschland nicht bereit war aufzunehmen. Der Antrag der Grünen wurde mit großer Mehrheit, inklusive der Stimmen der SPD, abgelehnt. Man arbeite an einer europäische Lösung, hieß es. Nur kommt die für viele dieser Kinder zu spät.

Seenotretter werden aufgefordert, zum Schutz der eigenen Bevölkerung, nicht mehr mit Ihren Boten auszufahren. Wenn sie es doch tun, wird ihnen immer wieder die Einfahrt in europäische Häfen verwehrt. Die Angst vor dem Gebrüll der Rechten und vor den Wählern, die sich abwenden könnten, ist so groß geworden, dass Mitgefühl und Humanität bedenkenlos über Bord geworfen werden. Die Gesundheit und das vermeintliche Wohlergehen der europäischen Bevölkerung, hat einen anderen Stellenwert, als die Unversehrtheit geflohener Menschen. Der Krieg im Jemen, in dem sich Saudi Arabien und der Iran seit 2015, auf Kosten der leidenden Bevölkerung, Ihre Vormacht in der Region sichern wollen, findet medial kaum noch statt.

Fridays for Future und Scientists for Future machen seit über einem Jahr auf die Dringlichkeit der Rettung unser Ressourcen aufmerksam. Um alle mit zunehmen, brauche man Zeit, heißt es von Regierungsseite. Wenn man sich ansieht, was die Regierung in kürzester Zeit, ohne parlamentarische Zustimmung und ohne Rücksicht auf die sozialen Folgen, umzusetzen in der Lage war, scheint einem das Zeitargument in der Umweltdebatte fast zynisch.

Jetzt spukt eine „unsichtbare Gefahr“ durch die Welt. Macron spricht von Krieg, Merkel von der größten Herausforderung seit dem 2. Weltkrieg. Die Angst wird durch viele Medien, auch durch die Öffentlich - Rechtlichen, weiter angeheizt.

Panik fördert nur selten das Miteinander oder die Empathiefähigkeit. Sie offenbart häufig unsere häßlichen Seiten. Denunziantentum wird nicht nur gebilligt sondern staatlich gefördert, um die getroffenen Maßnahmen durchzusetzen. Politiker raten dazu, Menschen zu melden, die sich nicht an die Corona Regeln halten. Ein Polizist, der unsere Versammlung vor dem Schöneberger Rathaus am 30.4.20 begleitet hat, erzählte von den tägliche Anrufen „besorgter“ Bürger, die Ihre Nachbarn anzeigen, weil sie in Ihrem Hausgang in einer Gruppe von drei Leuten mit einander stehen. Ich selbst wurde mit meiner Tochter von einem leeren Basketballplatz vertrieben, weil ein, in großem Abstand, vorbei gehender Passant die Polizei gerufen hat. Diese Krise hat viele Gesichter.

Die Regierung ließ sich über fast zwei Monate nicht beirren, griff massiv in die Bürgerechte ein, schaffte im Eiltempo neue Corona Gesetze und hat ein ganzes Land „geschlossen“. Unzählige Menschen leiden unter ihrem Existenz-und Identitätsverlust. Ein Teil des Kulturbetriebes wird sich nicht mehr erholen. Freiberufler, Künstler, kleinere Unternehmen und viele mehr sind pleite und verlieren dauerhaft ihre Jobs. Depressionen, Suizide, häusliche Gewalt steigen an, all das nimmt man in Kauf, um Covid 19 in den Griff zu bekommen. Allen anderen Themen unterliegen einem anderen Zeitmaß. Kein „übereilter“ Ausstieg aus der Kohlekraft, heißt es, kein kompromissloser Ausbau alternativer Energien, kein Tempolimit, kein Besteuerung von Kerosin, kein Verbot von Inlandsflügen. In der Flüchtlingsdebatte ringt man nach europäischen Lösungen, wissend, das es ewig dauern kann, bis man hier zu einem Ergebnis kommt und überläßt tausende Geflohene ihrem Schicksal.

Was die internationalen Kriegsgebiete angeht scheint die Zeit fast still zu stehen. Der deutsche Aussenminister ist mehr damit beschäftigt, Reisewarnungen auszusprechen oder darauf hinzuweisen, keine Auslandsurlaube zu planen, anstatt sich als deutscher Chefdiplomat um genau diese Themen zu kümmern.

Vieles wäre mit wenig Anstrengung schnell umsetzbar, anderes erfordert einen grösseren Kraftaufwand, aber nichts ist mit dem zu vergleichen, was man jetzt aufzugeben bereit ist.

Die Frage, ob wir es als mündige Bürger schaffen, in Zukunft emphatisch und solidarisch zu handeln, auch wenn das eigene Leben und das seiner Liebsten nicht unmittelbar gefährdet ist, kann nur jeder für sich selbst beantworten.

Aber genau das müssen wir von unseren Regierungen und Ihren Vertretern einfordern, wenn es um die großen Fragen unserer Zeit geht, die vor allem die nächsten Generationen betreffen. Wenn es sein muß durch eine starke, lebendige ausserparlamentarische Opposition, und in letzter Konsequenz auch durch zivilen Ungehorsam. (Dienstag, 3.5.2020)

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